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13.01.2024

Neue „S3-Leitlinie Demenz“ im November 2023 veröffentlicht – Empfehlungen zu Diagnose, Therapie und Behandlung

Eine Vielzahl wissenschaftlicher Studien werden für die Erarbeitung einer Leitlinie ausgewertet. Beteiligt sind an den S3-Leitlinien Demenz  vielerlei Fachgesellschaften, vor allem medizinische, aber auch aus der Pflege, Psychologie, Sozialarbeit, Ergotherapie und anderen Bereichen. Die Leitlinie Demenz wurde unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. (DGPPN) und der Deutschen Gesellschaft für Neurologie e. V. (DGN) mit Beteiligung (Abstimmungsprozesse) anderer deutschen Fachgesellschaften erarbeitet. (S3-Leitlinie Demenz).
Inhalt der Leitlinie sind Aussagen zu Diagnostik, Therapie und Prävention von Demenzerkrankungen. Die Leitlinie bildet vor allem die empirische Forschungslage gut ab. Soweit es zu bestimmten Ansätzen oder Behandlungen noch keine ausreichenden Belege durch größere wissenschaftliche Studien gibt, werden auch keine Empfehlungen durch sie ausgesprochen. Von daher sind in der Praxis neben solchen Empfehlungen auch die konkreten Erfahrungen von Praktikern etwa von Ärzten beim Einsatz von Medikamenten wichtig. In den Leitlinien selbst auf diese Begrenzung der Empfehungen hingewiesen. Ein Hinweis darauf ist beispielsweise, dass in den Empfehlungen des Informationsblatts der Deutschen Alzheimer Gesellschaft zur medikamentösen Behandlung bei Demenz von ausgewiesenen Experten vielfältigere Behandlungsmöglichkeiten und -alternativen beschrieben werden als in den Leitlinien.

Zu nichtpharmakologischen Ansätze (psychosoziale Ansätze, allg. Therapien) geben die Leitlinien nur grobe Empfehlungen ab. Die wissenschaftliche Überprüfung der Wirkung dieser Ansätze ist schwieriger und wird wird zudem nocht so gut finanziert wie es im Vergleich bei Medikamenten der Fall ist. Diese stellen auch eine wichtige wirtschaftliche Einnahmequelle von Unternehmen dar und sind ebenso ein wichtiger Ausgabefaktor bei den Krankenkassen. Es ist aber erfreulich, dass Ansätze, die unter Begriffen wie kognitive Stimulation, Ergotherapie, Musiktherapie, körperliches Training oder auch „Berührungstherapie“ zusammengefasst werden, in den S3-Leitlinien klar und vorrangig empfohlen werden. (Fachbücher, die sich inhaltlich mit diesen Ansätzen befassen, bieten darüber hinaus eine weitergehende Grundlage, um differenziert zu empfehlen, welcher spezielle Ansatz im Bereich dieser Therapieformen jeweils aufgrund der Erkrankungsform und in einer Krankheitsphase angemessen und wertvoll sein kann.)

Auffallende Veränderungen in den Leitlinien gegenüber den vorhergehenden Leitlinien von 2016 bei den medikamentösen Empfehlungen:

Bei der antidementiven Behandlung wird nun Gingko-Extrakt in hoher Dosierung von 240 mg am Tag mit Evidenz empfohlen, nachrangig und ergänzend zu den schon lange empfohlenen Acetylcholinesterasehemmern (Rivastigmin, Galantamin und Donezepil) sowie ab mittelgradiger Demenz Memantin. Die Kosten für Gingko-Extrakt werden in der Dosierung 240 mg in der Regel auch von den Krankenkassen zur Behandlung einer Demenzerkrankung übernommen (nur bei Demenzdiagnose und in der hohen Dosierung von 240 mg). Eine Kombinationstherapie von Acetylcholinesterasehemmern und Memantin wird nach wie vor wegen fehlender nachgewiesener Wirksamkeit in Studien nicht empfohlen.

Bei Apathie, die als häufiges Symptom von Demenzerkrankungen beschrieben wird, wird nun Methylphenidat (z.B. Retalin) als Behandlungsversuch empfohlen. (Eigene Anmerkung: Bei Apathie sollte jedoch immer auch an zu wenig soziale, sinnesbezogene und geistige Anregung als Ursache gedacht werden wie auch an das von Kitwood beschriebene In-Sich-Versinken bei Reizarmut, ggfs. aber auch bei Überforderung, zu vielen Reizen oder als Reaktion auf Einschränkungen der Handlungsfreiheit.)

Bei agitiertem Verhalten, Aggressivität und wahnhaften Vorstellungen werden vorrangig Risperidon und an zweiter Stelle Haloperidol (Haldol) empfohlen. Haloperidol wurde in früheren Jahren wegen seiner Nebenwirkungen bei Menschen mit Demenz häufig als Mittel der letzten Wahl genannt. Dass der Wirkstoff in den Empfehlungen nun hervorgehoben wird, ist für medizinische Laien etwas verwunderlich. Von Fachärzten häufig verordnete Alternativen mit weniger Nebenwirkungen wie Quetiapin, werden nicht in den Leitlinien genannt. Dies mag daran liegen, dass der Wirkstoff in Deutschland nicht unmittelabr zur Behandlung von Demenzerkrankungen zugelassen ist. Was jedoch nicht bedeutet, dass er nicht wirksam ist.
Grundsätzlich wird weiterhin klar darauf hingewiesen, dass die Behandlung mit Antipsychotika (Neuroleptika) möglichst zeitlich begrenzt sein soll mit Absetzversuchen bereits nach wenigen Wochen. Melperon und Pipamperon werden weiterhin bei Schlafstörungen als Möglichkeit gesehen, auch generell wegen der fehlenden anticholinergen Nebenwirkungen geeignet bei Demenzerkrankungen. Bei Agitiertheit und Aggression wird auch das Antidepressivum Citalopram als Möglichkeit genannt. Antidepressiva, die eher beruhigend und entspannend wirken, werden in der Fachliteratur immer wieder als mögliche geeignete Alternative zu Neuroleptika beschrieben.

Bezüglich Antidepressiva in Zusammenhang mit depressiven Verstimmungen gibt es keine auffallenden Veränderungen bei den Empfehlungen.

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